Die Taktik glitzert – die Absicht ist versteckt
Der Fall
Sarah Henschel, Anfang 40, sucht in Frankfurt eine Wohnung – ein Zuhause für sich und ihre Tochter. Nach Monaten der Suche besichtigt sie ein Objekt, das wie gemacht scheint für sie: frisch gestrichene Wände, moderne Küche, Parkettboden, warmes Licht. Der Makler spricht von „gepflegtem Altbaucharme“, serviert Espresso und sorgt für Wohlfühlatmosphäre.
Sarah ist beeindruckt – fast überwältigt. Sie will zuschlagen. Doch ihr Bruder, ein erfahrener Bauingenieur, mahnt zur Vorsicht und schaut sich das Objekt ein zweites Mal mit ihr an. Er entdeckt Feuchtigkeit in einer Wand, versteckte Mängel an Fenstern und eine marode Elektroinstallation. Die glänzende Fassade fällt in sich zusammen. Statt zu kaufen, geht Sarah. Wenige Wochen später steht die Wohnung wieder auf dem Markt – dieses Mal 35.000 Euro günstiger.
Der Fehler
Sarah wäre beinahe auf eine strategisch inszenierte Verkaufsverhandlung hereingefallen – ein Paradebeispiel für den Fehler, Taktik mit Substanz zu verwechseln. Der Makler präsentierte nicht nur eine Wohnung, sondern ein emotional aufgeladenes Erlebnis: Musik, Gerüche, Licht – all das sollte die rationale Bewertung überlagern. Solche Verhandlungen appellieren an das Gefühl, nicht an den Verstand. Wer sich davon leiten lässt, entscheidet sich für den Schein – nicht für die Realität.
In geschäftlichen Verhandlungen geschieht Ähnliches: Professionell gestaltete Präsentationen, überzeugende Argumentationen und kalkulierte Gesten verstellen den Blick auf das Wesentliche.
Wer sich nicht bewusst macht, dass jede Darstellung auch Taktik sein kann, läuft Gefahr, auf strategische Täuschung hereinzufallen.
Die Lösung
Die Taktik ist das Verhalten, das Sie sehen – das Vorgehen der Gegenseite am Verhandlungstisch.
Sie ist inszeniert, geplant und oft sehr gezielt eingesetzt: Ein Lächeln zur richtigen Zeit, ein harmloser Nebensatz mit Wirkung, eine elegante Folie, die scheinbar alles erklärt. All das ist Taktik – sichtbar, greifbar, analysierbar.
Doch die wahre Macht liegt hinter dem Vorhang: Die Strategie. Sie ist nicht sichtbar. Sie bestimmt, wohin die Gegenseite will – unabhängig davon, wie sie dort scheinbar hinkommt. Und genau hier liegt die Herausforderung: Nicht automatisch von der beobachteten Taktik auf die zugrundeliegende Strategie zu schließen. Denn was wir sehen, kann bewusst täuschen. Die Gegenseite kann Kooperation signalisieren, während sie Konfrontation plant. Sie kann schwach sein, obwohl sie stark verhandelt. Sie kann ein Ziel kommunizieren – und ein anderes verfolgen.
Deshalb braucht es die Fähigkeit, den strategischen Plan zu erkennen, anstatt ihn aus der Taktik ableiten zu wollen.
Diese Schritte helfen Ihnen dabei, sich nicht täuschen zu lassen – und hinter die Fassade zu blicken:
- Trennen Sie konsequent zwischen Verhalten und Absicht.
Beobachten Sie die konkreten Handlungen, aber interpretieren Sie sie nicht sofort. Fragen Sie sich: Was könnte dahinterstehen? Nicht: Was bedeutet das für mich? - Formulieren Sie eigene Hypothesen über den möglichen Plan der Gegenseite.
Welche mittel- und langfristigen Interessen könnten verfolgt werden? Was wäre deren Idealziel – unabhängig davon, was gesagt wird? - Suchen Sie gezielt nach Inkonsistenzen.
Stimmen die Aussagen mit früheren Informationen überein? Gibt es Widersprüche zwischen Gesagtem und Getanem? Oft liegt im Bruch die Wahrheit. - Nutzen Sie Rückfragen als strategisches Werkzeug.
Mit gezielten Kontrast- oder Unschärfe-Fragen wie „Was wäre, wenn…?“ oder „Welche Option hätten Sie, wenn wir nicht…?“ enttarnen Sie vorgeschobene Positionen. - Analysieren Sie systematisch das Timing und die Dramaturgie.
Welche Themen wurden wann eingebracht? Welche emotionalen Muster wiederholen sich? Wer die Regie erkennt, versteht das Stück – auch ohne das Drehbuch zu sehen. - Arbeiten Sie mit Kontrastfragen. Stellen Sie bewusst Fragen, die die Gegenseite aus der vorbereiteten Taktik zwingen und neue Denkmuster aktivieren. Beispiel: „Was würden Sie tun, wenn wir Ihnen keine Anschlussprojekte geben?“ oder „Was passiert, wenn Sie Ihre Roadmap um 6 Monate verschieben müssen?“
- Bauen Sie eine Gegenstrategie: Stellen Sie offene Fragen, die ins Unerwartete führen. Lassen Sie die Gegenseite aus ihrer Komfortzone treten – z. B. mit: „Was würden Sie tun, wenn ein Gutachter andere Fakten vorlegt?“ oder „Worauf basiert Ihre Einschätzung konkret?“
- Ziehen Sie eine neutrale Dritte Person hinzu. Ein kritischer Blick von außen schützt vor Betriebsblindheit.
Der Merksatz
Aufdecken statt blenden lassen: Suchen Sie hinter der Fassade der Taktik nach dem verborgenen strategischen Plan.
Die ZENTUNO-Methode
Die ZENTUNO-Methode strukturiert den komplexen Verhandlungsprozess in überschaubare Phasen. Sie hilft, den Überblick zu behalten, Ziele konsequent zu verfolgen und ermöglicht eine systematische, fehlerfreie Herangehensweise an jede Verhandlungssituation.
Weitere Merksatz-Briefings
Wenn Prozentzahlen die Wahrheit verdecken
Ein Schlagabtausch über Prozente bringt selten Lösungen. Wer die Interessen, Alternativen und Befugnisse seines Gegenübers nicht kennt, kämpft im Dunkeln – und verliert oft den Deal.
Perfektion weckt Angst – und Angst verschreckt den Kunden
Wer um jeden Preis Recht behalten will, verunsichert den Kunden. Dieser trifft dann lieber gar keine Entscheidung, um keine falsche zu treffen – und der Deal scheitert.
Sie möchten Vertrauen aufbauen? Dann hören Sie auf zu drängen!
Vertrauen braucht Entscheidungsfreiheit und Gemeinsamkeiten. Wer drängt erzeugt Ablehnung.