Merksatz 37

Die gefährlichste Blindheit am Verhandlungstisch: die für die Sorgen des anderen

Informationsdefizit bewältigen, Lagerwechsel vornehmen

Der Fall

Ein Paar ringt um die Urlaubsplanung.

Er will unbedingt mit dem Auto durch Italien reisen, von der Toskana bis Sizilien. Sie dagegen schwärmt von einer Kreuzfahrt durchs Mittelmeer.

Beide argumentieren hitzig: Er von der Freiheit, spontan anzuhalten, sie von der Entspannung an Bord. Er wirft ihr Bequemlichkeit vor, sie ihm Rastlosigkeit.

Die eigentlichen Motive bleiben verborgen: Er träumt davon, die Kurven der toskanischen Landstraßen zu genießen – nicht rasen, sondern fahren, schauen, erleben.

Sie sehnt sich seit Jahren nach einem einzigen Moment – einmal im Leben auf dem Deck stehen, wenn das Schiff in Venedig einläuft.

Doch keiner benennt das, beide beharren auf Etiketten: „Rundreise“ versus „Kreuzfahrt“.

Erst als sie zufällig ins Plaudern geraten – er über seine Freude am entspannten Fahren, sie über eine Kindheitserinnerung – wird klar, dass sich die Wünsche gar nicht widersprechen.

Eine Autoreise durch Italien mit Start oder Ende in Venedig, kombiniert mit einer kurzen Mini-Kreuzfahrt, hätte beide glücklich gemacht. Wochen voller Streit drehten sich am Ende nur um Begriffe, nicht um Bedürfnisse.

Der Fehler

Der Fehler liegt in der Fixierung auf Schlagworte. „Rundreise“ und „Kreuzfahrt“ wurden zum Stellvertreter echter Wünsche.

Beide schauten nur aus ihrer eigenen Perspektive und waren blind für die verdeckten Motive des anderen. Statt zu fragen, warum der Wunsch wichtig ist, kämpften sie um Etiketten.

Das ist in jeder Verhandlung fatal: Man streitet über Positionen, anstatt die Beweggründe sichtbar zu machen.

Ohne Perspektivenwechsel werden Missverständnisse nicht erkannt – und das Risiko steigt, dass Gespräche in zähen Blockaden enden.

Die Lösung

Perspektivenwechsel ist kein psychologisches Nice-to-have, sondern strategische Pflicht.

Wer regelmäßig den inneren „Lagerwechsel“ vollzieht, erkennt verborgene Einflussfaktoren: Erwartungen an den Prozess, emotionale Beweggründe, verdeckte Ängste oder die Wirkung des eigenen Auftretens. Dieser Wechsel öffnet Informationsfelder, die mit klassischen Datenanalysen nicht zugänglich sind.

Konkrete Maßnahmen

  1. Gedankliche Rollentausch-Übung:
    Stellen Sie sich vor, Sie säßen auf der Gegenseite. Welche Risiken, Zwänge und Hoffnungen würden Sie dann sehen? Notieren Sie diese Fragen vor jeder Verhandlung und prüfen Sie währenddessen, ob neue Antworten sichtbar werden.
  2. Gefühlssignale dechiffrieren:
    Achten Sie nicht nur auf Inhalte, sondern auf Reaktionen – Schweigen, Stirnrunzeln, schnelle Zustimmung. Fragen Sie sich: „Wie würde ich mich fühlen, wenn ich so reagieren würde?“ So erkennen Sie unausgesprochene Bedürfnisse.
  3. Perspektiven-Check im Team:
    Lassen Sie Kollegen bewusst die Rolle des Gegners einnehmen. Bitten Sie sie, die Argumente und Sorgen der Gegenseite zu vertreten. Sie selbst verteidigen Ihre Position – und erleben, wie es sich „auf der anderen Seite“ anfühlt.
  4. Sprachliche Spiegelung:
    Nutzen Sie Formulierungen, die den inneren Lagerwechsel sichtbar machen: „Aus Ihrer Sicht könnte es so wirken, dass…“ oder „Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde mich beschäftigen…“. So demonstrieren Sie Verständnis und vermeiden Abwehr.
  5. Prozessszenarien durchspielen:
    Fragen Sie sich, wie Ihr Gegenüber den Ablauf der Verhandlung wahrnimmt. Ist er zu schnell, zu technisch, zu konfrontativ? Ein Perspektivensprung auf die Prozessqualität zeigt, welche Anpassungen nötig sind, um Zufriedenheit zu erzeugen.
  6. Regelmäßig wechseln – mindestens zweimal:
    Machen Sie den Lagerwechsel nicht nur zu Beginn, sondern regelmäßig, mindestens jedoch ein weiteres Mal im Verlauf der Verhandlung. Motive verändern sich, sobald Angebote konkret werden.
  7. Motiv-Etiketten entlarven:
    Achten Sie darauf, ob Ihr Gegenüber nur „Etiketten“ nennt („Preis“, „Flexibilität“, „Sicherheit“). Hinterfragen Sie behutsam, was damit eigentlich gemeint ist. Oft steckt dahinter ein verdeckter Traum oder eine unausgesprochene Sorge – wie im Urlaubsfall.

Der Merksatz

Versetzen Sie sich regelmäßig in die Lage Ihres Verhandlungspartners. Ohne Perspektivenwechsel übersehen Sie wichtige Informationen!

Die ZENTUNO-Methode

Die ZENTUNO-Methode strukturiert den komplexen Verhandlungsprozess in überschaubare Phasen. Sie hilft, den Überblick zu behalten, Ziele konsequent zu verfolgen und ermöglicht eine systematische, fehlerfreie Herangehensweise an jede Verhandlungssituation.

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