Perfektion weckt Angst – und Angst verschreckt den Kunden
Der Fall
Claudia Berger wollte sich eine neue Digitalkamera kaufen. Im Fachgeschäft wandte sie sich an den Verkäufer, einen jungen Mann, der sofort enthusiastisch zu reden begann.
Er sprach von ISO-Werten, HDR-Funktionen und Sensortechnologie.
Als Claudia vorsichtig fragte, ob sich die Kamera auch für Urlaubsfotos bei schlechtem Licht eigne und ob man große Speicherkarten brauche, hob der Verkäufer leicht die Augenbrauen, lächelte dünn und sagte:
„Wer heutzutage noch JPEG nutzt, verschenkt natürlich 80 Prozent der Möglichkeiten.“
Danach erklärte er ihr ohne Unterbrechung den Unterschied zwischen JPEG und RAW.
Claudia hörte zu, sagte nichts mehr und nickte gelegentlich. Eigentlich wollte sie nur wissen, welche Speicherkarten sie braucht und ob sie mit dem Gerät abends am Strand gute Bilder hinbekommt. Doch jetzt hatte sie Angst, die falsche Kamera zu kaufen.
Unsicher verabschiedete sie sich mit den Worten: „Ich muss das noch mit meinem Mann besprechen.“
Eine Woche später kaufte sie genau dieses Modell bei einem anderen Verkäufer, der ihr auf Augenhöhe erklärte, worauf es bei Abendaufnahmen ankommt und weshalb diese Kamera dafür ideal ist.
Der Fehler
Der Verkäufer wollte beeindrucken.
Doch er schüchterte ein. Seine Mimik und sein Tonfall signalisierten Überlegenheit statt Hilfsbereitschaft. Anstatt auf Claudia einzugehen, hielt er einen Fachmonolog, der mehr mit Status als mit Beratung zu tun hatte.
Der entscheidende Fehler war, dass Claudia nicht etwa ignoriert, sondern intellektuell deplatziert wurde.
Die Folge war kein offenes Gespräch, keine Kaufentscheidung, sondern Rückzug. Nicht, weil das Produkt schlecht war, sondern weil der Verkäufer ihre Angst vor einer Fehlentscheidung unbeabsichtigt geschürt hatte.
Lieber keine Kamera kaufen als die falsche – so lautete ihre innere Schlussfolgerung.
Wer in Verhandlungen das Gefühl vermittelt, man sei fachlich unterlegen, blockiert jede Bewegung – und bekommt am Ende gar nichts.
Die Lösung
Brücken bauen heißt, das Miteinander zu gestalten und dabei das Oben und Unten zu überwinden.
Im Zentrum steht die Technik der „paritätischen Positionierung“: das bewusste Vermeiden von Überlegenheitsgesten, die aktive Einladung zur Zusammenarbeit und die konsequente Verlagerung der Diskussion von der Personen- auf die Sachebene.
So werden Sie zum Brückenbauer und verhandeln erfolgreich. Fünf Maßnahmen:
- Agieren Sie auf Augenhöhe: Respektieren Sie die Perspektive des Gegenübers. Formulieren Sie Ihre Aussagen partnerschaftlich, nicht belehrend. Beispiel: „Ich kann gut verstehen, dass das eine wichtige Frage für Sie ist – darf ich Ihnen zeigen, wie ich es einschätze?”
- Betonen Sie gemeinsame Lösungen: Lenken Sie das Gespräch auf wechselseitige Interessen. Nutzen Sie Formulierungen wie „Was ist Ihnen dabei wichtig?” oder „Wie könnten wir das gemeinsam lösen?”
- Vermeiden Sie Überlegenheitsgesten: Spöttisches Lächeln, einen herablassenden Tonfall oder die Verwendung von Fachjargon als Statussignal. Zeigen Sie stattdessen echtes Interesse. Beispiel: „Das ist eine gute Frage – ich erkläre Ihnen das gerne.“
- Holen Sie den anderen dort ab, wo er steht: Reagieren Sie auf Vorwissen, Fragen und Unsicherheiten Ihres Gegenübers. Passen Sie Sprache und Inhalt daran an. Beispiel: „Sie wollen gute Bilder im Urlaub – dann lassen Sie uns gemeinsam schauen, was Sie konkret bei Ihrer Kameraentscheidung beachten sollten.“
- Streben Sie nicht an, Recht behalten wollen: Stellen Sie Ihren Standpunkt zur Diskussion, anstatt ihn durchzusetzen. Laden Sie zur Reflexion ein: „Wie sehen Sie das?” oder „Was wäre Ihre Einschätzung?”
Der Merksatz
Werden Sie zum Brückenbauer: Begegnen Sie Ihrem Gegenüber auf Augenhöhe, streben Sie gemeinsame Lösungen an, statt Recht zu haben, verbannen Sie das Überlegenheitslächeln.
Die ZENTUNO-Methode
Die ZENTUNO-Methode strukturiert den komplexen Verhandlungsprozess in überschaubare Phasen. Sie hilft, den Überblick zu behalten, Ziele konsequent zu verfolgen und ermöglicht eine systematische, fehlerfreie Herangehensweise an jede Verhandlungssituation.
Weitere Merksatz-Briefings
Wenn Prozentzahlen die Wahrheit verdecken
Ein Schlagabtausch über Prozente bringt selten Lösungen. Wer die Interessen, Alternativen und Befugnisse seines Gegenübers nicht kennt, kämpft im Dunkeln – und verliert oft den Deal.
Sie möchten Vertrauen aufbauen? Dann hören Sie auf zu drängen!
Vertrauen braucht Entscheidungsfreiheit und Gemeinsamkeiten. Wer drängt erzeugt Ablehnung.
Wer sich falsch setzt, sitzt schnell alleine!
Wer den Verhandlungsort wählt, ist oft schon vor dem ersten Wort im Vorteil. Subtile Rahmenbedingungen können darüber entscheiden, wie offen oder abweisend die Gegenseite agiert.