Wer zu tief ankert, geht baden
Der Fall
Ein Hauskäufer sitzt im Wohnzimmer des Verkäufers. Das Haus ist für 600.000 Euro inseriert.
Der Käufer eröffnet das Gespräch sachlich mit einem Gebot von 475.000 Euro – mehr als 20 % unter dem Angebotspreis – und fügt hinzu: „Mehr ist mir das Haus nicht wert.“
Mit diesem klaren Einstieg setzt er einen hohen Anker und liefert zugleich eine Begründung. Im weiteren Gespräch wird deutlich, dass die Lage attraktiver ist als gedacht und die Nachfrage in der Straße hoch.
Der Käufer merkt: Sein Einstieg war sehr ambitioniert. Doch weil er die Begründung generisch formuliert hat, kann er die neuen Informationen aufgreifen und sein Angebot nach oben “korrigieren”.
Am Ende einigen sich beide auf 540.000 Euro – ein Ergebnis, das er mit einem vorsichtigen Start niemals erreicht hätte.
Der Fehler
Viele Verhandler scheuen den hohen Anker.
Sie fürchten, unglaubwürdig zu wirken oder die Beziehung zu belasten. Deshalb eröffnen sie lieber moderat – scheinbar realistisch.
Doch genau das ist riskant:
Erstens: Wer zu niedrig einsteigt, verlangt womöglich deutlich weniger, als möglich gewesen wäre.
Zweitens: Ohne hohen Anker löst man keine Reaktionen der Gegenseite aus. Man erfährt nicht, wo diese wirklich steht, und verschenkt damit wertvolle Information.
Die Lösung
Ein Anker ist kein fixer Anspruch, sondern ein Instrument.
Er markiert die Richtung, verschafft Verhandlungsspielraum und dient vor allem der Informationsbeschaffung.
Gerade weil Verhandler im Nebel agieren, müssen sie hoch greifen: Nur so loten sie aus, wie weit die Gegenseite wirklich gehen kann. Entscheidend ist dabei die Glaubwürdigkeit: Ein unrealistischer Fantasiewert verpufft und erzeugt nicht die erwünschte Wirkung, ein richtig begründeter hoher Anker eröffnet Räume.
Drei konkrete Maßnahmen:
- Nach den Sternen greifen:
Setzen Sie den Anker bewusst hoch. Ihre Grenze ist dort erreicht, wo Ihr Angebot kurz davor steht, lächerlich zu wirken und nicht mehr ernst genommen zu werden. Akzeptieren Sie, dass Sie im Nebel verhandeln und nicht alle Informationen haben – genau dafür setzen Sie den Anker ein. - Begründung generisch halten:
Formulieren Sie die Begründung so, dass sie schwer angreifbar ist – etwa „Mehr ist es mir nicht wert“ oder „Das entspricht meinem Budget“. Diese Aussagen lassen Spielraum, um später ohne Vertrauensverlus einen Schritt zurückzugehen: „Ach so, jetzt wo ich das weiß, ist das Haus natürlich mehr wert.“ Hoch greifen heißt nicht abheben: Prüfen Sie, ob Ihr Anker in der Wahrnehmung der Gegenseite noch in deren Realität verankert ist. - Reaktionen beobachten:
Achten Sie auf Sprache, Körpersprache und Nachfragen der Gegenseite. Jede Reaktion auf Ihren Anker liefert wertvolle Informationen darüber, wo deren Spielräume liegen. Wer zuhört, kann seinen Anker nachjustieren und taktisch verteidigen. 
Der Merksatz
Mit dem Anker fischen: greifen Sie mit Ihrem ersten Angebot zu den Sternen, bleiben Sie glaubwürdig, schnüren Sie ein flexibles Paket und fügen Sie eine Begründung hinzu.
Die ZENTUNO-Methode
Die ZENTUNO-Methode strukturiert den komplexen Verhandlungsprozess in überschaubare Phasen. Sie hilft, den Überblick zu behalten, Ziele konsequent zu verfolgen und ermöglicht eine systematische, fehlerfreie Herangehensweise an jede Verhandlungssituation.
Mehr erfahrenWeitere Merksatz-Briefings

Suppe serviert man mit der Kelle. Argumente löffelweise.
Zu viele Argumente auf einmal wirken wie Suppe aus der Kelle: heiß, unkontrolliert und daneben. Dosierung schafft Zustimmung.

Wer mit der Tür ins Haus fällt, macht zwar Eindruck – aber keinen Fortschritt
Oft streiten sich Verhandler um Lösungen, ohne das Problem gemeinsam verstanden zu haben. Wer die Gegenseite frühzeitig einbindet, verhandelt nicht nur erfolgreicher, sondern erzielt auch bessere Ergebnisse.

Die gefährlichste Falle im Verhandeln ist nicht der Gegner – sondern das eigene Chaos.
Verhandlungstricks können nützlich sein – aber ohne roten Faden verwandeln sie sich in Stolperfallen. Erfolg braucht Strategie, nicht Zufall.
